»Trick or Treat« , Kunstverein Braunschweig, Haus Salve
Über Ivan Moudov müsste Timm Ulrichs eigentlich sehr zufrieden sein. Der hannoversche Totalkünstler, der überall Nachahmer und Plagiatoren seiner Kunst am Werk sieht, die so tun, als gebühre ihnen das Erstgeburtsrecht an seinen Ideen, trifft in dem jungen Bulgaren, Jahrgang 1975, auf einen Künstler, der sich in einer seiner Appropriationen explizit auf ihn beruft. Seine Aktion „Already Made 4 (Timm Ulrichs)“ aus dem Jahr 2007 stellt eine Aktion von Ulrichs aus dem Jahre 1971 nach. Damals hatte der Ideenkünstler aus der hannoverschen Galerie Brusberg eine Handzeichnung von Gerhard Altenbourg „gestohlen“ und sich dabei filmen und fotografieren lassen. Nachdem er das Bild drei Tage in seiner hannoverschen Zimmergalerie ausgestellt hatte, gab er es dem Eigentümer zurück. Die Aktion hatte er zuvor im Kunstkalender Belser angekündigt und sie in ihrer Bedeutung durch einen klugen Text legitimiert. Eine fotografische Dokumentation der Tat, eine Sequenz von vier Aufnahmen, zeigt Ulrichs beim Vermessen, Abnehmen und Verstauen des Bildes in einer Tragetüte. Moudov wiederholt das Prozedere in einem identischen Vierschritt, nur dass er jetzt das Foto, in dem Ulrichs an dem Altenburgbild Maß nimmt, zum Ziel seines Kunstraubs macht. Wenn sich das Bild Ulrichs im Verlauf der ebenfalls fotografisch dokumentierten Moudov-Aktion allmählich auflöst und nur noch dessen eigenes Bild sichtbar bleibt, ist das ein ebenso diskreter wie unübersehbarer Hinweis darauf, dass der junge Bulgare mit dieser Aktion jenseits der Mimikry eine eigene Position zu behaupten sucht.
Und in der Tat, Moudovs Reinszenierung hat mit einem „Kunstdiebstahl als Totalkunst-Demonstration“, so der Titel der Ulrichs-Aktion, rein gar nichts zu tun. Seine Aktion fügt sich ein in den Kontext eines Werks, in dem es um Macht und Ohnmacht geht, um das Verhältnis von Zentrum und Peripherie sowie um Subversion und Widerstand. Für den Bulgaren, der aus einem Land kommt, das auch zwanzig Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs noch immer über kein Museum für zeitgenössische Kunst verfügt, ist der Kunstdiebstahl eine Art Waffe, mit der er sich gegen die kulturelle Hegemonie der reichen Länder des Westens zur Wehr setzt. All das lässt sich jetzt detailliert und präzise in einer schönen Übersichtsausstellung des Kunstvereins Braunschweig studieren. Es ist die erste, die dem Werk des bulgarischen Konzeptkünstlers, der 2007 sein Land auf der 52ten Kunstbiennale in Venedig vertrat, in Deutschland gewidmet wird. Im langen Hauptsaal von „Salve Hospes“ sind Moudovs in Anlehnung an Marcel Duchamps „Boîte en valise“ (1936-41) geschaffene, tragbare Koffermuseen zu besichtigen. Sie zeigen unter dem Titel „Fragments“ (seit 2002) kleine Teile von Kunstwerken berühmter Kollegen, die Moudov in den großen Museen und Galerien des Westens gestohlen hat. Etwa einen Staubsaugeraufsatz aus einer Installation von Jeff Koons, das Kontaktstück einer Neonröhre von Dan Flavin, Fäden aus einem Teppich von Franz West, eine TV-Fernbedienung von Pipilotti Rist usw. Diebstähle gewissermaßen in homöopathischer Dosis. Als Metonymien eines abwesenden Ganzen können sie in diesen Miniaturwunderkammern der Moderne die Lust des Betrachters auf die Werke daher auch nur stimulieren, nicht befriedigen.
Das weiß Ivan Moudov natürlich ganz genau. Und so gehen die Anspielungen seiner Werke auch nicht nur in eine Richtung. In den Appell nach einem Museum für sein Land mischt sich zugleich eine nicht zu übersehende Museums- und Institutionskritik. Jean Tinguely sprach einst von Museen als von „Friedhöfen der Kunst“. Als von Orten, wo die Werke nur noch gut dafür sind, um als Belegstücke eines kulturellen Diskurses zu dienen, der sich längst von ihnen abgelöst und verselbstständigt hat. Diesen Faden nimmt Moudov auf, wenn er in „Guide“ (2006) statt der Werke dem Betrachter allein ihre Titel bietet zusammen mit Werkerklärungen vom Band. Oder wenn er 2007 in Venedig den Fake um ein angebliches Museum für moderne Kunst in Sofia, MUSIZ, weiter fort spinnt. Das hatte er 2005 kurzerhand in einem renovierten, noch voll in Betrieb befindlichen Bahnhof der Hauptstadt seines Landes für eröffnet erklärt. Er hatte Pressemeldungen und Einladungen heraus geschickt, überall plakatiert, Künstler, Kritiker und Honoratioren eingeladen. Die Aktion erwies sich als voller Erfolg, insofern die Simulation von fast allen für bare Münze genommen wurde und wirksamer nicht auf das tatsächliche Fehlen eines Museums hätte hinweisen können. In Venedig spendierte Moudov in einer weiteren Aktion den Länderpavillons einen in Bulgarien gekelterten Rotwein, den er unter dem Etikett „Wine for Opening“ bereits für die Eröffnung des MUSIZ hatte abfüllen und ausschenken lassen. An der Lagune gewann die Geste in subtiler Weise wie von selbst einen breiteren Bedeutungshorizont. Ihre global sich verschwendende Großzügigkeit hatte auch etwas von einer feinsinnigen Invektive gegen den obsoleten Partikularismus der kulturellen Landesvertretungen in den Giardini. Zugleich diente sie aber nicht nur zur Ausrichtung einer brüderlichen Feier des aus aller Welt herbei geeilten Kunstvolkes, sondern auch zur milden Kritik an Ausstellungseröffnungen, auf denen das Interesse am ausgeschenkten Wein oft größer ist als an der gezeigten Kunst. In dieser Funktion hat die Moudov-Aktion ihr Potenzial noch lange nicht erschöpft. Der „Wine for Opening“ kam folglich auch in Braunschweig zum Einsatz.